21. August 2009

Kohlrabi

Wenn mich mal jemand fragt, Du, Rosine, wenn Du Dich entscheiden müsstest, was würdest Du auf eine einsame Insel mitnehmen: Natur oder Kultur?, dann würde ich die Kultur wählen. Und zwar aufgrund folgender, eher unzusammenhängender Ereignisse:

Einstmals, an einem Sonntag im August, betrat ich meinen Balkon und wusste sofort, hier stimmt etwas nicht, hier stimmt doch etwas nicht! Was ist hier los? Von den lila-grünen, ehemals üppig sprießenden Blättern meiner Kohlrabi ragten nur noch die Blattgerippe unheilverkündend in die Luft: Eine Unzahl dicker grüner Raupen war im Begriff, eine Schneise der Zerstörung auf meinem Balkon zu hinterlassen, d.h. alles aufzuessen! Einige Raupen waren unten in den Blumentrog gefallen und wanden sich - der Sicherheit ihres natürlichen Lebensraumes, dem Blatt, entrissen - hilflos auf der Erde und versuchten vergeblich, dem Angriff der Ameisenmiliz zu entkommen, die scheinbar planlos, aber wahrscheinlich einer perfiden Systematik folgend, an diesen herumzerrten, sie in mehrere Stücke zerteilten und anschließend in ihren unterirdischen Unrechtsstaat verschleppten. Zugleich flog ein Schwarm Wespen einen Stuka-artigen Angriff auf die Ameisen, um ihnen die Raupenstücke im Kampf zu entwinden. Es war schlimm, aber ich ließ der Natur ihren Lauf, schnürte mein Rucksäcklein, fuhr mit dem Fahrrad in die Mark Brandenburg, um à la Fontane ein Bad im Stechlinsee zu nehmen, Deutschlands klarstem See mit bis zu elf Metern Sichttiefe. Doch als ich mich anschickte, auf den See hinauszuschwimmen, ergriff mich furchtbare Angst und irre Panik, denn Seeungeheuer und gemeine Schlingpflanzen griffen nach mir und wollten mich in die kalte Tiefe hinabziehen. Schnell schwamm ich zum Ufer und verbrachte den Nachmittag wie ein gestrandetes Walross im seichten Wasser (maximal 40 Zentimeter), während mein Ausflugsbegleiter in ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen crawlend den friedlich daliegenden, menschenleeren See durchmaß. Als ich am Abend meinen Balkon betrat, herrschte Todes- bzw. Grabesstille. Die Raupen waren verschwunden, von den Wespen war nichts zu sehen und die mutmaßlich als Sieger aus dem Gemetzel hervorgegangenen Ameisen leckten wahrscheinlich irgendwo in ihren Geheimgängen ihre Wunden. Die Atmo gemahnte an die gruseligen letzten Âventiuren des Nibelungenlieds und die Kohlrabiüberreste wollten mir nicht schmecken.

Für das U-Bahnhof-Fliesen-Rätsel N°19 muss ich mir nun wohl einen neuen Preis ausdenken.

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9. August 2009

On a lovely summer's day

Eine meiner kleinen Sommeralltagsinszenierungen ist das morgendliche Betreten meines Balkons im Morgenmantel mit einer gut gemachten Tasse Kaffee in der Hand, um ein wenig an den Blumen herumzuzupfen, d.h. hie und da eine verwelkte Blüte zu entfernen bzw. ab und zu dem Beikraut formerly known as Unkraut, was man aber nicht mehr sagt, wegen herabwürdigend, also ab und zu dem Beikraut zu versichern, dass es nicht unerwünscht, sondern weiterhin herzlich willkommen ist. Ich mache das übrigens lediglich zu zwei Dritteln, weil ich es gut und richtig finde, zu einem Drittel mache ich es, um die Über-Sehnsucht zu befriedigen, die mich ergreift, wenn ich an Tagen des Broterwerbs morgens eilig durch die Straßen radle und all die Menschen auf den Balkonen sehe, wie sie im Morgenmantel Kaffee trinken und an ihren Blumen herumzupfen. Funktioniert leider nur teilweise bis überhaupt nicht. Weiß ich doch (weiß doch jedes Kind), dass sich Sehnsucht gerade in ihrer Nicht-Erfüllung konstituiert. Trotzdem: Einmal zweigeteilt sein und gleichzeitig oben auf dem Balkon stehen und unten mit dem Rad vorbeifahren! On a lovely summer's day. Funktioniert aber leider auch nicht. Schöner Mist.

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