21. August 2020

Krawatten

In meinem Haushalt befindet sich eine umfangreiche Krawattensammlung, von meinem Freund zusammengeerbt aus allen Ecken und Enden und Dekaden, in den schönsten Farben, Formen und Mustern. Von der schmalen türkisfarbenen Werbefuzzi-Lederkrawatte von circa 1985 über breite 70er-Jahre-Modelle aus Trevira in Braun und Weinrot bis hin zu Klassikern gestreift, gepunktet oder mit Paisleymuster.

Krawattensammlung

All diese schönen Krawatten hängen ungetragen im Schrank, denn die Krawatte hat ausgedient; schon den 68ern galt sie als Symbol für das Establishment. Heute ist der Verzicht auf eine Krawatte keine Rebellion mehr, sondern Mainstream: Letztes Jahr hat sogar die US-Investmentbank Goldmann Sachs den strengen Wall-Street-Dresscode abgeschafft. Krawatten- und Kostümpflicht sei „nicht mehr zeitgemäß“. Noch nicht einmal Bankangestellte müssen mehr eine Krawatte anziehen.

Weil die Krawatte bedeutungslos geworden ist und weder als Symbol für Leistung und Erfolg noch als Symbol für Angepasstheit, Spießertum und Zwang taugt, funktioniert auch der Anti-Look nicht mehr, bei dem man eine Krawatte breaking-the-rules-mäßig als Stirn- oder Haarband trug: Keine deutsche Vorabendserie aus den 80er-Jahren, in der nicht irgendwann eine junge Frau aufkreuzt, stark berlinernd, als KFZ-Mechanikerin jobbend, eine Krawatte in die Wuschelmähne gewunden!

Krawatten als Gürtel

Stehen wir also an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, in dem Krawatten endlich von allen Konnotationen befreit und nichts weiter sind als unschuldige Stoffstreifen, die man sich umbinden kann? Um den Hals, um den Kopf und beispielsweise als Gürtelersatz? Ich hoffe es, denn sie sind einfach zu schön, um nicht getragen zu werden.

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