3. Mai 2007

Nach Hause geht man erst, wenn einem alle anderen Orte ausgegangen sind

Vor nicht allzu langer Zeit - also kürzlich bzw. letzten Mittwoch - stellte ich fest: Ich habe die in Berlin sehr populäre Disziplin Ausgehen und Rumstehen ein wenig vernachlässigt. Nicht sträflich, aber doch genug, um Handlungsbedarf zu konstatieren. Was also tun? Man steigt aufs Fahrrad und begibt sich auf die Suche nach billiger Zerstreuung. Das Fahrrad ist blau-metallic und heißt Fantasy Tornado. Die alltäglichsten Dinge haben ja bekanntlich oft die schönsten Namen. Fantasy Tornado. Fantasy Tornado. Majestätisch und doch verspielt. Weil hier in der Gegend/in da hood die gentrification noch nicht Fuß fassen konnte, müssen zunächst einige andere Bezirke durchquert werden. Ausgehen und Rumstehen funktioniert nun mal nicht überall. Mein mentaler Berlinstadtplan ist übrigens nur bei mir zu Hause vollständig und intakt, nur daheim kann ich ganz Berlin kognitiv erfassen. Bin ich hingegen z.B. in Charlottenburg, dann kann ich den Osten nicht mehr denken, bin ich im Norden, habe ich Zehlendorf plötzlich nicht mehr auf dem Schirm. Krass. Egal. Im Moment jedenfalls fahre ich durch den Central Park, da bin ich mir ganz sicher, auch wenn meine mental map an den Rändern so schatzkartenmäßig angeschmort ist. Und Ach, is dit schön, denkt es in mir drin und aus mir heraus, als ich so durch den lauen Frühlingsabend brause, Dit is Berlin! Denk, denk, denk. Hohes Mädchenaufkommen auf den Wegen zwingt mich zum Bremsen. Was ist denn hier los? Aha, Schaustellerbetriebe haben ihre Fahrgeschäfte aufgebaut und locken die örtliche jeunesse dorée an. Wie es so ihre Art ist, schauen die jungen Seelen nicht nach hinten und nicht nach vorne, sie denken nicht an gestern und nicht an morgen, sondern laufen mir vors Rad. Egal, denke ich, denn ich bin milde gestimmt, und die nächste competition oder challenge steht bereits an: Alexanderplatz überqueren! Kein Problem für mich, ich gebe 150% und komme so eine Runde weiter und zwar in den Bezirk, in dem seit neuestem prekarisierte Künstler und amerikanische Nachwuchswissenschaftlerinnen wohnen. Die amerikanische Nachwuchswissenschaftlerin, die Berliner Hinterhöfe erforscht, bleibt heute mal zu Hause, aber die prekarisierte Künstlerin geht gern aus und steht gern rum.

(So. Mir reichts. Ich kürze das jetzt mal ab, das nervt ja total, dieser blumige Stil. Also, zuerst waren wir in einem italienischen Restaurant, dann in einer Bar, dann in noch einer Bar, wobei ich die letze Bar gerade dazuerfunden habe - wie so einiges in diesem Pseudo-Schelmenroman. Folgende Möchtegern-Frage könnte außerdem hier erörtert werden: Wieso wird man eigentlich nach wie vor und v.a. nur in italienischen Restaurants landessprachlich bedient und nicht in z.B. chinesischen?)

Weiter gehts in die nächste Bar, denn unser Motto lautet: Nach Hause geht man erst, wenn einem alle anderen Orte ausgegangen sind. Von wem stammt dieses Bonmot? Von Hildchen? Von Lotti Huber? Oder doch von Erika Pluhar? In der Bar, die - seltsam - aussieht wie meine zukünftige Küche, übt sich eine Auswahl (selecao) Portugallierinnen ebenfalls in der Disziplin Rumstehen, indem sie am laufenden Band eine Art flambierte Würstchen bestellt. Welcher Gastro-Trend ist da nun schon wieder an mir vorbeigegangen? Mist! Drei junge Leistungsträger, zukünftige Entscheider und Führungsverantwortungsinnehaber kommen rein. Müssten die nicht längst zu Hause sein? Ist doch schon ganz schön spät und schließlich nicht Wochenende. Ach so, ja klar, nach Hause geht man erst, wenn einem alle anderen Orte ausgegangen sind. Man ist nun und in diesem speziellen Fall ich. Auf dem Heimweg fällt mir einmal mehr ein, dass ich noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten bin. Ohne Scheiß. Die Gesetze sind einfach wie für mich gemacht, mir gleichsam auf den Leib geschneidert! Ob ich es dennoch wage und nachts um halb drei bei Rot mit dem Fahrrad über die Heinrich-Heine-Straße fahre? Doch wiederum einmal mehr muss ich feststellen: Verbrechen lohnt sich nicht, Hochmut kommt vor dem Fall, Schuster bleib bei deinen Leisten etc.pp. Polizeiauto? Me fugit! Zu Recht werde ich von den Ordnungshütern per Lautsprecher zur sogenannten Ordnung gerufen: JUNGE FRAU, DIE AMPEL IST ROT! Ausgehen, rumstehen, zur Ordnung gerufen werden, heimfahren. So schließt sich der Kreis und ich verabschiede mich. Ich hoffe, ich polarisiere nicht unnötig, wenn ich bekenne, dass ich am folgenden hellichten Donnerstag erst gegen zwölf Uhr mein Tagewerk in Angriff genommen habe.

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