7. Februar 2017

Der Balmain-Blazer

Einer meiner Deutschlehrer behauptete einmal, man könne die Epochen der Literatur als Reifungsprozess verstehen, der auch an der individuellen Entwicklung des Menschen nachvollziehbar sei: Sturm und Drang = Jugend, Weimarer Klassik = Erwachsenenalter, so in etwa. Nicht nur bin ich sehr dankbar, dass man mich in der Schule mit derartigen Smalltalk-Themen ausgestattet hat (es ist wirklich ein hervorragender Icebreaker, sich auf einer Party darüber zu unterhalten, ob man sich in Sachen innere Entwicklung derzeit in der Romantik oder im Biedermeier befindet oder ob man womöglich schon vormärzliche Tendenzen in sich spürt), nein, ich hoffe auch schwer, meinen Deutschlehrer nicht missverstanden zu haben, denn die Vorstellung, im Alter dann postmodern zu sein, ist enorm bestechend!


Möglicherweise bin ich sogar schon in die Phase meiner persönlichen Postmoderne eingetreten, denn anders kann ich es mir nicht erklären, warum ich auf einmal über die Anschaffung eines marineblauen Pierre-Balmain-Blazers mit dicken Goldknöpfen nachdenke – ein Kleidungsstück, das mein Sturm-und-Drang-Ich als konservativ, mein Biedermeier-Ich als laut und prollig und mein Expressionismus-Ich als angepasst bezeichnet hätte. Mein postmodernes Ich hingegen hat sich längst vom Prinzipiellen verabschiedet, alles ist erlaubt, auch ein Balmain-Blazer mit dicken Goldknöpfen.

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