19. Juni 2020

Das seltsame Leben der It-Bags, Teil 2

Im April 2020 verkündete das Haus Givenchy überraschend, dass die Chef-Designerin Clare Waight Keller das Unternehmen verlässt. Allet schick, ihr Vertrag läuft halt aus, so die offizielle Verlautbarung des eleganten französischen Maison de Couture. Im Hintergrund wurde währenddessen gemunkelt, Waight Keller sei rausgeflogen, weil es ihr nicht gelungen sei, in den drei Jahren bei Givenchy eine It-Bag zu produzieren.

Das ist bemerkenswert, denn bei ihrem vorherigen Job als Chef-Designerin bei Chloé hat Waight Keller eine It-Bag nach der anderen rausgehauen: Die Drew, die Faye, die Marcy, die Nile und wie sie alle hießen und heißen. Möglicherweise waren ihre It-Bag-Skills sogar der Grund, warum sie von Givenchy abgeworben wurde. Diese Rechnung ist nun nicht aufgegangen und ich fürchte, auch Natacha Ramsay-Levi, Waight Kellers Nachfolgerin bei Chloé, muss sich bald eine andere Stelle suchen, denn von einer neuen Chloé-It-Bag kann nicht die Rede sein.

Bei den anderen Modehäusern sieht es ebenfalls schlecht aus, aber die Verantwortlichen scheinen nicht zu checken, dass – These – die Zeit der It-Bags vorbei ist. Es wirkt fast verzweifelt, wenn Louis Vuitton das neue Modell „Pont 9“ lanciert und binnen Sekunden alle (diesmal waren es wirklich alle) High-End-Fashion-Influencer*innen ein Foto mit dieser Tasche auf Instagram posten. Niemand, der bei Verstand ist, möchte die Pont 9 haben – die zudem ähnlich aussieht wie die 30 Montaigne von Dior, was zum Teufel.

Louis Vuitton Pont 9, Christian Dior 30 Montaigne

Die besten It-Bags sind sowieso ehemalige It-Bags, vergessene It-Bags, in Ungnade gefallene It-Bags, die schlecht fotografiert und verschämt auf 2nd-Hand-Plattformen verkauft werden; der niedrige Preis ein Eingeständnis, dass man auf einen teuren Hype reingefallen ist.

Die Boogie Bag von Celine beispielsweise, eine It-Bag aus dem Jahr 2002. Madonna hat sie rauf und runter getragen, Angelina Jolie, Gwyneth Paltrow, Sarah Jessica Parker und Prinzessin Dingsbums von Dänemark, deren Name mir gerade entfallen ist. Damals war Michael Kors Chefdesigner bei Celine und niemand, noch nicht einmal das Haus Celine selbst, möchte an diese Phase erinnert werden. So sehr sich die Slimaniacs (Anhänger*innen des aktuellen Celine-Designers Hedi Slimane) und die Philophiles (Anhänger*innen seiner Vorgängerin bei Celine, Phoebe Philo) gegenseitig hassen, gemeinsam ist ihnen ihre Verachtung für Michael Kors: nicht edgy genug (Slimaniacs), nicht artsy genug (Philophiles).

Celine Boogie Bag
Die Boogie Bag von Celine aus dem Jahre 2002

Ich kann mich nicht erinnern, wie ich die Boogie Bag 2002 fand, aber jetzt finde ich sie spitzenmäßig! Es gibt sie in zahlreichen Ausführungen, man kann sie gebraucht für einen Bruchteil ihres ursprünglichen Preises kaufen und mit ihr wie eine geschichtsbewusste Fashion-Enthusiastin durch die Gegend spazieren (und nicht wie ein Fashion-Lemming).


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