6. März 2020

Ode an Edith

Es gab Zeiten, in denen es harte Arbeit war, fashionable zu sein. Geld allein genügte nicht – man brauchte Zeit, Wissen, Beziehungen, Informanten und Nerven, um an die Kleidungsstücke zu kommen, die für die Realisierung des eigenen Stils entscheidend waren.

Glücklich, wer während eines Ferienjobs zufällig auf eine Levis 501 stieß; alle anderen mussten für eine solche Jeans nach Berlin trampen. Für einen hellblauen Sixties-Anorak wühlte man sich durch Berge muffiger 2nd-Hand-Klamotten und wenn man jemanden kannte, der jemanden kannte, der mit seinen Eltern nach Amerika fuhr, konnte man über diese Connection eventuell an Converse-Turnschuhe kommen. Wollte man Paninaro sein, musste man nach Italien fahren, bestimmte Punk-Utensilien gab es ausschließlich in London.

Heutzutage kann man fast überall fast alles kaufen, alle Looks, alle Styles und in allen Preisklassen, und wenn nicht, kann man es im Internet bestellen. Um modisch up to date zu sein, reicht ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital braucht man nicht mehr: Man kauft einfach das, was die Influencer*innen der jeweiligen modischen Peergroup, der man angehören möchte, auf Instagram tragen.

Diese Entwicklung kann der Fashion-Avantgarde nicht gefallen! Schließlich ist der Distinktionsmehrwert beispielsweise einer Tasche von Bottega Veneta gleich null, wenn sich alle, die genügend Geld haben (und das sind viele), diese Tasche kaufen können – auch wenn Daniel Lee, Kreativchef bei Bottega Veneta, als neuer uber designer gehandelt wird.

Was also machen Fashion-Enthusiast*innen, um sich von der Masse abzugrenzen? Sie kaufen archival fashion. Virgil Abloh, ein weiterer „supernova designer“, hat vor ein paar Wochen in einem Interview die Richtung vorgegeben:

„I think that like we’re gonna hit this like, really awesome state of expressing your knowledge and personal style with vintage – there are so many clothes that are cool that are in vintage shops and it’s just about wearing them. I think that fashion is gonna go away from buying a boxfresh something; it’ll be like, hey I’m gonna go into my archive.

Um die gewünschte Distinktion zu erlangen, reicht es natürlich nicht, einfach in den nächsten 2nd-Hand-Laden zu spazieren und etwas Altes anzuziehen. Es muss etwas spezielles Altes sein, rar und schwer zu finden, und es muss etwas sein, mit dem man Modegeschichtswissen demonstrieren kann – Wissen, das andere nicht haben. Das könnten zum Beispiel die „Cuba“-Slip-Ons aus der Herbst/Winter-2002-Kollektion von Comme Des Garcons Homme sein, der letzten Kollektion von Designer Keiichi Tanaka, bevor Junya Watanabe diesen Posten übernommen hat. Oder eine Versace-Jeansjacke aus der Frühjahr/Sommer-1995-Kollektion mit dem signature butterfly print in 3D.

Optimalerweise hat man natürlich – Virgil Abloh deutet es oben an – ein eigenes Archiv, in das man, hey, gehen kann. Ein Archiv habe ich nicht, bei dem Distinktionstrend kann ich aber trotzdem mitmachen! Ich besitze nämlich eine Edith-Bag von Chloé aus der Frühjahr/Sommer-2006-Kollektion, der letzten Kollektion von Phoebe Philo für Chloé, bevor sie bei Céline anheuerte und dort einen seltsamen, komplett durchgeknallten Kultstatus erlangte. Mit dieser Tasche kann ich zeigen: Ich weiß, was Phoebe Philo vor Céline gemacht hat!


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