Filofax
Der Dezember ist nicht nur traditionell der Monat der
Jahresrückblicke, sondern auch der Monat, in dem Zukunft geplant wird, und zwar
mittels Anschaffung eines neuen Kalenders.
Als junger Mensch war ich mal kalendersüchtig. Nicht, dass
ich neben „Matheklausur“, „Schulball“ und „Fugazi-Konzert in München“ großartig
Termine gehabt hätte; ich nutzte meinen Kalender eher als Mittel zur
Selbstvergewisserung, indem ich rückwirkend mit sehr viel Liebe zum Detail
notierte, wie ich den lieben langen Tag verbracht hatte. Dieses und jenes habe
ich gemacht, da und dort bin ich gewesen, das bin ich, und wenn man es nicht
aufschreibt, hat es nicht stattgefunden – so ungefähr.
Vielleicht kann man das mit Instagram heutzutage vergleichen:
Was nicht fotografiert, hochgeladen und geteilt wird, existiert nicht. Nur dass
bei Instagram aus der Selbstvergewisserung Fremdbestätigung wird. Wobei: Die
Inhalte meines Kalenders damals hätte ich niemals mit anderen geteilt und als
ich einmal meinen Kalender in der Stadtbibliothek verloren hatte, lief ich
einige Zeit mit dem sehr, ich betone, sehr unbehaglichen Gefühl durch die
Gegend, dass jetzt irgendjemand recht viel über mich weiß. Ich stelle also fest:
Man kann Instagram und Kalender doch nicht miteinander vergleichen. Vergesst den
letzten Abschnitt, da wollte ich wohl auf Teufel komm raus einen Zusammenhang
herstellen. Früher war ich kalendersüchtig, heute bin ich
Zusammenhang-herstell-süchtig.
Mir war schon klar, dass dieses Kalenderführen eine leicht
zwanghafte Note hat und insgeheim bewunderte ich Leute, die keinen Kalender
hatten. Matheklausur? Mir doch egal! Trotzdem konnte ich von den Kalendern
nicht lassen. Keinen Kalender führen kam für mich gleich nach Schule abbrechen
und keine Ausbildung machen.
Deshalb kaufe ich mir jedes Jahr im Dezember einen neuen
Kalender, ich kann nicht anders. Natürlich
schreibe ich nicht mehr jeden Mist hinein, sondern nur noch wirklich wichtige Sachen
wie 14 Uhr Team-Meeting, 16 Uhr TelKo, 12 Uhr 30 Mittagessen mit Kollegin XYZ,
samstags vielleicht noch „Sachen aus der Reinigung abholen“. That’s it! Aber
ein Kalender muss sein.
Weil ich klassikersüchtig bin, habe ich mir dieses Jahr
einen Filofax gekauft. Filofax – The Original! Ihr seid vertraut mit dem
Filofax-Prinzip? Nein? Man hat ein meist ledergebundenes Ringbuch, den Filofax,
das man immer wieder verwenden kann, lediglich die Einlagen werden jedes Jahr
erneuert. Und Einlagen gibt es zahlreiche! Neben den Kalendereinlagen, bei
denen man zwischen ein Tag auf einer Seite, eine Woche auf einer Seite, eine
Woche auf zwei Seiten, ein Monat auf zwei Seiten, einer aufklappbare
Jahresansicht und einigem mehr wählen kann, gibt es weitere Extraeinlagen wie
To-Do-Listen, Listen für Kontoübersichten, Listen für Finanzplanungen,
Adresseinlagen, Geburtstagskalender, Wochenstundenpläne, verschiedene Register
und vieles mehr. Jeder soll sich einen seinen Bedürfnissen exakt angepassten
Kalender zusammenstellen können, so der Gedanke hinter dem Filofax-Prinzip.
Sogar Menstruationskalender bietet Filofax an.
Allein Hasslisten gibt es keine – leider! Was hatte ich früher Spaß beim Führen meiner Hassliste, auch Hass-Hitparade
genannt. Jeden Sonntag habe ich meine Hass-Top-Ten zusammengestellt, mit Auf-
und Absteiger der Woche, re-entry, new-entry usw. Meist tummelten sich
bescheuerte Lehrer, nervige Typen, Tussis und bekloppte Mitschüler auf den
vorderen Plätzen und als wir das Nibelungelied durchnahmen, konnte sich Hagen
von Tronje sogar mehrere Wochen auf Platz Eins halten. Die Hassliste ist neben
der To-Do-Liste als Kategorie in meinem neuen Filofax also auf jeden Fall
gesetzt!
Neulich habe ich einmal das Stichwort Filofax bei
Youtube eingegeben. Ich hatte
ja keine Ahnung! Videos mit Titeln wie “How to keep your life organized with a
Filofax”, “My Filofax”, “My Filofax Setup”, “My detailed Filofax Setup”, “Update
look at my personal Filofax”, “What’s in my Filofax?”, “My very first Filofax
and how I set it up” zeigen, dass Kalendersucht ein Riesenproblem darstellt! Von
der Dunkelziffer ganz zu schweigen. In Anlehnung an das berühmte Jesus’sche
Diktum möchte man den Leuten zurufen: Der Kalender ist um des Menschen willen
geschaffen und nicht der Mensch um des Kalenders willen! Trotzdem ist es
natürlich enorm beruhigend zu wissen, dass es Leute gibt, die in Sachen
Kalender schlimmer sind, als man selbst jemals gewesen ist.
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Labels: Das ist doch total krank